JARIndia

Für unseren Sohn

Zeit

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Jetzt ist es eine ganze Weile her seit unserem letzten Eintrag. Es liegt eine aufregende und anstregende Zeit voller Entscheidungen und Herausforderungen hinter uns:

Ich habe Klausuren geschrieben, was anstregender war, als ich dachte. Die Erinnerung an letztes Jahr, wo Jari gerade groß genug war, um mich mit einem starken Tritt spüren zu lassen, was er von der Anspannung während der Prüfung hält, war allgegenwärtig. Und überhaupt das Gefühl, die Klasuren mit soviel Sinn wie niemals zuvor zu schreiben, den Kleinen bei mir zu haben, und die Vorstellung, wie es wohl sein würde, in diesem Jahr, wenn Jari da wäre und Philipp in der Vorbereitungszeit auf ihn aufgepasst hätte. Das alles war an einigen Tagen schwer auszuhalten, der Sinn, das Ziel haben gefehlt und ein konzentriertes Lernen war schier unmöglich.

Überhaupt ist alles gerade voller Erinnerungen.
Letztes Jahr um diese Zeit… da wurde die Schwangerschaft durch den wachsenden Bauch und die kleinen Tritte so real. Jari war da! Das wussten wir jetzt ganz sicher. Unser erster Urlaub zu Dritt in Portugal. Die Zeit, in der wir unser Leben als Familie in Berlin gestartet haben. All das ruft soviele unterschiedliche Gefühle aus bei uns. Soviele wunderschöne Erinnerungen, die einen plötzlich zugleich tieftraurig und unendlich dankbar machen.

Manchmal war dieser letzte Monat so voll von anderen Dingen, dass man kaum richtig darüber nachdenken konnte, was gerade mit uns passiert.
Es gab Wochen, da ging es uns sehr schlecht. Aber es anders als vorher. Es war schwer zu definieren oder in Worte zu fassen, noch konnte man es „heraus lassen“. Es war einfach da, und erdrückend. Der Schmerz. Die Angst. Die Sehnsucht. Verzweiflung, Wut und Lustlosigkeit.
Eines abends hat Philipp dann gesagt, dass es jetzt so sei, wie er es in einem der Bücher, die wir zum Thema „Trauerbearbeitung“ nach Jaris Tod bekommen haben, gelesen hat. Und er hat Recht: Man hat das Gefühl, man ist in einer Zeitschleife gelandet. Es geht weder vor noch zurück. Und alles ,was war ist schlimm, und alles, was kommt beängstigend. Man steckt fest. Genau so ist es! Man kann nichts von allem, was geschehen ist rückgängig machen. Leider. Dadurch können und wollen wir aber auch nicht so weiter leben wie vorher. Zum Glück.

Ein Versuch, oder vielleicht kann man es sogar schon als einen geglückten Versuch, aus dieser Zeitschleife herauszukommen, war wohl unsere Entscheidung nach Marokko zu ziehen. Es hat uns unheimlich viel Kraft gekostet, wir haben Hin- und Her überlegt, ob es gut für uns sei, jetzt in ein anderes Land zu gehen… und sind schließlich zu dem Schluss gekommen, dass Zweifel und Ängste wohl unsere Begleiter sind, egal wohin wir gehen würden, oder was wir gemacht hätten. Und, da ein Leben ohne Jari sich nie auch nur ansatzweise richtig anfühlen wird, er aber überall dabei sein wird, wollen wir es wagen: Ein Leben in Marrakech. Zu Dritt.

Die Zeit heilt nicht alle Wunden. Das was auch ich immer dachte, habe ich längst revidiert. Es gibt Wunden, die heilen nicht. Es ist eher, dass man lernt damit zu leben. Mit der Wunde, und allem, was sie mit sich bringt. Aber die Wunde ist nicht nur Schmerz, sie ist auch eine Erinnerung, und zwar an das wundervollste Wesen, was wir je kennenlernen durften, und an die Liebe, die die Wunde überhaupt erst so schmerzhaft macht. Die Wunde ist Jari, und immer ein Teil von uns.

„Liebe und Tod ändern alles.“

Khalil Gibran

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